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Gegen das sogenannte Kunsthandwerk

Ausgerechnet die Balinesen mit ihren wunderbaren tausend Tempeln pflegen zu sagen: wir brauchen keine Kunst, wir machen alles so gut wir können. In Zentraleuropa hingegen verfügen wir seit unserer Industrialisierung über das Genre des Kunsthandwerks, dem wir den Trödel noch gegenwärtiger Flohmärkte verdanken. Die Devise der Kunstgewerbebewegung war die Vortäuschung eines handwerklichen, materialen oder künstlerischen Wertes in einem Massenartikel, damit die Maschinen laufen lernten. Diese Plagiatisierung emotional erprobter Objekte nennen wir Kitsch, die scheinbare Bedienung von Sehnsüchten nennen wir Ausbeutung und die Anmaßung eines ungerechtfertigten Ranges Hochstapelei. Die Kunstgewerbebewegung besaß dazu die Unverschämtheit, diese Geschäftigkeit mit dem pädagogischen Anspruch kultureller Entwicklung zu verbinden, was einigen der frühen Spätaufklärer schon damals auffiel: Für die Hebung des Volksgeschmacks muß gewirkt werden, oder vielmehr das Volk muß selbst dafür wirken. Besser, es treibt noch eine Zeitlang Unsinn, als sich einen Geschmack vorschreiben zu lassen (Semper 1863: Wissenschaft, Industrie und Kunst). Mit dem Muff des letzten Jahrhunderts verbinden sich außerdem Begriffsverwischungen eklatanter Art, die bedauerlicherweise bis heute nachwirken: Kunst kommt angeblich immer noch von Können, und unter Ästhetik verstehen viele hochgestochen Schönes. Die Welt wird allerdings ein wenig komplizierter, wenn wir im klassischen Sinn mit Ästhetik das Wissen um das sinnlich Wahrnehmbare bezeichnen, die Differenzierung von Anschauung und Begriff, die Grundlage des Denkens also, und wenn wir weiterhin Kunst von Kennen ableiten, sinnverwandt mit erkennen, wissend oder lehrend sein. Hierauf besannen sich erst wieder die Bauhäusler, nachdem sie die Werkbundaera mit ihren konservativen Typisierungen in verhältnismäßig radikaler Art überwunden hatten. Gerade der Avantgardist geht von Traditionen aus und hat als Experimentator einen kenntnisreichen, selektiven Überblick. Nur der Eitle will aus Originalitätssucht jeden Tag die Welt neu erfinden. Klassiker halten je nach Maßstab innerer Wahrheit länger. So ist anzunehmen, daß gegenwärtiges Kunsthandwerk zum Trödel von morgen wird. Gegenwarts-Kunst kann man auch als Philosophie mit ästhetischen Mitteln bezeichnen. Unter diesem Aspekt halte ich ohnehin nicht viel von der Berufsbezeichnung Künstler, denn sie ist ein selbstverliehener fadenscheiniger Adel. Als Auszeichnung verwendet gibt es in allen Berufen Künstler, unter Architekten wie Ärtzten, Köchen, Schustern, Designern oder selbst Frisören. Zwischen Designern und Frisören wiederum wußte Max Bill sehr gut zu unterscheiden. Heutzutage allerdings muß man sich vor den Designern hüten, da es meistens Kunsthandwerker oder andere sind, die mangels guter, schlichter Arbeit uns ihre Kunst aufschwatzen wollen, weil sie ihre Einbildung für Bildung halten. Schon Shakespeare läßt Hamlets Mutter den phrasendreschenden Polonius kritisieren: More matter, less of art!

©Winfried Saty 1999
Ausstellungskatalog: Kunsthandwerk Hamburg ISBN 3-933374-46-4
Hg.: Schnuppe von Gwinner, AG des Kunsthandwerks Hamburg e.V.