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Eine alltägliche, allgegenwärtig Erscheinung,

die uns in ihren Wirkungen so vertraut, ihrem Wesen nach jedoch weitgehend unfaßbar ist: Licht. Licht ist zunächst ein Mythos, der Urmythos überhaupt, denn es ist die erste beständige Wahrnehmung, der die Apperzeption der menschlichen Lebensbedingungen folgt: Licht ist sinnliche Schöpfungsenergie, und so symbolisiert es Gott, Geist, Leben, Erkenntnis, Glück.

Es ist eindeutig außerirdischen Ursprungs, und es ist ein nicht beherrschbarer Mythos. Es entzieht sich unserer Möglichkeit, am Morgen die Sonne nicht aufgehen zu lassen. Allenfalls ist es möglich, sich aus dem Licht auszusperren. Aber wenn wir die Höhle verlassen, sind wir schon wieder bei dem Vorgang unseres Auf-die-Welt-kommens. Wir erfahren Licht in Abgrenzung zu Finsternis. Die Dunkelheit, aus der wir kommen, ähnelt der, in der wir eines Tages verschwinden werden. Sie bedeutet uns Chaos, Tod, Unglück, Dummheit, Unmoral.

Auch unsere räumliche Vorstellung ist nach diesem Dualismus aufgebaut: Licht kommt von oben, die Finsternis liegt in der Tiefe. Der Differenzierung von Licht und Dunkel entspricht im Diskurs des Mythos die Entwicklungsgeschichte des Menschen: die Idee eines Aufstiegs vom Dunkel zum Licht spielt in allen Ethnologien eine große Rolle, sowohl in der individuellen Entwicklung als auch im Sozialverband mit seinen Initiationsriten bezüglich Wachstum, Reife, Tod. Als lebenspendendes Prinzip stellt Licht die höchste Form kosmischer Intelligenz dar, die uns über die Sinne zugänglich ist. Alle religiösen Mythen reflektieren dies mit der Erschaffung der Welt aus der Finsternis. Am Anfang auf vier Beinen, in der Mitte auf zwei und am Ende auf dreien, beschreibt ein chinesisches Anagramm den physischen Auftritt des Menschen entsprechend den Phasen des Sonnenlaufes von Aufgang, Zenit und Untergang. Nur Zyniker behaupten, das Leben sei eine schiefe Ebene.

Dadurch, daß sie alles gleichmässig bescheint, symbolisiert Sonne auch Gerechtigkeit. In sprachlicher Korrelation wird etwas ans Licht gebracht, in moralischer Auslegung wie auch im Schöpferischen. Ideen strahlen ein Licht aus. Der durch Inspirirationen Erleuchtete trägt eine Aura, einen Heiligenschein. Irdische Inkarnationen des Lichtes sind Gold und Diamanten. Die unendlichen Variationen wechselseitiger Ausformungen von Licht und Dunkel werden mit dem gesamten Repertoire der Stimmungen besetzt. Die ewige Wiederholung von Licht und Finsternis in der Form des Kreises bindet uns mit einer eingebauten Uhr vehement an das Leben. Die Vorstellung einer Unterbrechung dieses Kreislaufes ist uns fremd. Ganz anders als ein gewohnter Sonnenuntergang verbreitet das seltene Phänomen einer totalen Sonnenfinsternis Schrecken und Lähmung. Die schwarze Sonne konfrontiert uns mit einer Urangst vor dem Verlust unserer Lebensgrundlage und erinnert uns möglicherweise an unsere begrenzte Teilnahme an dem aus unserer Sicht stabilen und ewigen Kreislauf ... und was wir daraus machen. Der Diskurs des Mythos Licht führt zum Tod. Unsere Kenntnisse über die Materialität des Lichtes hindern uns nicht daran, in unserer emotionalen Vorstellung Licht immer noch als das Immaterielle schlechthin zu assoziieren: Liebe im empfangenden Sinn. Prometheus aber wurde von Zeus gestraft, als er den Menschen das Feuer brachte. Mit dieser kleinen Hilfe konnte unsere Spezies es immerhin via Glühlampe bis zur Kernfusion bringen. Allerdings müssen wir eingestehen, daß wir immer noch keine so schönen Schauspiele wie Gewitter, Nordlicht oder Regenbögen inszenieren konnten.

Im Prinzip sind wir über die Straßenlaterne nicht hinausgekommen. Wir haben eher Schaden angerichtet: wir haben erreicht, daß wir vorsichtig mit dem Licht umgehen müssen. Es ist gelegentlich gefährlich, sich zu lange im Licht aufzuhalten. Das Symbol schöpferischer Inspiration und der Fruchtbarkeit ist gleichzeitig ein Symbol für tödliche Verbrennung. Prosaphilosophie: der Mensch, sehnsüchtig vom Trieb beherrscht, selbst Magier oder Schöpfer gar zu sein, steht wie ein Zauberlehrling da im fahlen Mondlicht und erkennt, daß dieses, das reflektierte Licht des Mondes seiner eben nur mittelbaren, menschlich-rationalen Erkenntnisform entspricht.

Mit dem Grundprinzip einer Zweiteilung der Welt haben wir auch das digitale Denken entdeckt: Licht an, Licht aus. Ordnung und Chaos. Quelle und Reflektor. Aber unser angestammtes Denken ist ambivalent. Im Dunkel liegt die prinzipielle Unerkennbarkeit der Schöpfung. Dieses Dunkel ist dem Menschen göttliche Herausforderung, obschon er dies meiste Zeit dieser Phase verschläft. Spätestens im Anblick eines Monduntergangs bei Sonnenaufgang wird ihm klar werden, daß sein lebendiger Organismus im Wesentlichen analog rezipiert. Nicht Erkenntnisse, sondern Emotionen dominieren den größten Teil unserer Entscheidungen. Trotz aller Versuch, uns zu rational bestimmten Wesen zu entwickeln, sind wir bislang Sklaven unserer Stimmungen geblieben.

Das natürliche Licht in seiner Vielfalt, seinen Mischungen, Überlagerungen und Übergängen ist die Grundlage unserer Ästhetik. Unser räumliches Vorstellungsvermögen, unsere Farbwahrnehmung, der gesamte optische Wahrnehmungsapparat und ergo auch wesentliche Verhaltensreflexe wurden in vierzigtausend Jahren bei natürlichem Licht trainiert. Bei all dem atemberaubendenden WissenSchaffen und technischen Handeln im elektrischen Zeitalter: wir sind darauf angewiesen, analoge Stimmungen, die wir in der Natur erfahren, in unsere selbstgeschaffene, künstliche Welt zu übertragen. Das Medium Licht kann in diesem Zusammenhang als ein Lebensmittel gelten. Umso erstaunlicher, daß in unserer zivilisierten Kultur im Ergebnis für Kunstlicht wie Nahrungsmittel gilt: es gibt zuviel davon, und die weitaus grössere Menge ist von schlechter Qualität. Bis vor Kurzem noch war alles anders. Beispielsweise das gesamte europäische gotische Kathedralen-Bauprogramm wurde getragen von der Idee der Lichtinszenierung. Wobei Ausrichtung des Baukörpers, Anordnung, Höhe und Material der Fenster jahreszeitlich unterschiedlich eindrucksvolle Lichtspiele bewirken.

Von innen erlebt ist jedes Bauwerk ein Resonanzraum des Taglichtes, so wie der Nacht- Raum als Resonanzraum des Tag-Raumes empfunden wird. Exemplarisch wird hierbei vorgeführt, wie ursprünglich wir Raum wahrnehmen: indem wir unsere eigene Physis in den Raum projizieren. Wir erleben Raum primär als Stimmung. Die Übertragbarkeit von Stimmungen ist das eigentliche Erlebnis, und ein Erlebnis haben heißt ja nichts anderes, als die eigene Person in der Begegnung mit der Aussenwelt als bedeutungsvoll zu erfahren.

Das ist der Modus Operandi jeder Lichtinszenierung, ob im Tempel, Kaufhaus, Theater oder auch beim Reichsparteitag. Das sei nicht schön? Pathos ist dem Licht immanent! Nicht nur Romantiker sind süchtig nach solchen Erlebnissen wie dem Blick vom Sears Tower auf das sich im Sonnenuntergang illuminierende Chicago, Sonnenaufgänge aus dem Flugzeug, Kometen, Feuerwerk oder in der Karibik zum Jahreswechsel über dem Meer in den Sonnenuntergang aufgelassene Laternendrachen, die brennend abstürzen oder leuchtend so weit reisen, bis sie schließlich der Blick verliert...

Das immense Anregungspotential des Mediums Licht verdeutlicht sich im Phänomen der Winterdepression. Der Organismus erfährt bei Lichtmangel einen Energieverlust, dem er mit erhöhter Zuckerzufuhr begegnet, die, da nicht benötigt, zu einer allgemein als Winterspeck bezeichneten Gewichtszunahme führt. Haarausfall oder Verfärbungen können Folgen starker Deprivation sein. Rachitis ist eine Lichtmangelkrankheit. Zuviel Licht kann zu physischem Schmerz führen. Bei Depressionen sollen Lichtkäfige die Lebensakzeptanz rekonstruieren. Auswirkungen des Lichtes oder seiner Abwesenheit auf den Stoffwechsel sind vielfältig. Hierbei aufkommender Streß ist im Blut und an erhöhter Herzfrequenz nachweisbar. Bei nicht monomorphem, stets sich veränderndem natürlichen Licht tritt hingegen äußerst selten belastender Lichtstreß auf.

Das Frohlocken der Lichttechniker über ihre Fortschritte bei der Nachahmung der Tageslichtfarbe (vollständiges Spektrum) der bemerkenswerterweise auch amerikanisch (energy saving lamp) sogenannten Energiesparlampe gleicht dem kläglichen Hosianna des einsam auf seiner Wolke sitzenden Alois (Ludwig Thoma). Die sehr bedenklichen energetischen Aufwendungen bei Herstellung wie bei Entsorgung (Sondermüll) bleiben hinter dem Schleier dieser niedlichen Bezeichnung indessen unbeachtet. Sie ist auch eine selbstgefällige Verrenkung im Himblick darauf, daß mit dem Produkt per Saldo mehr Energie abgesetzt werden soll, keinesfalls weniger, denn die Welt wird ja nicht dunkler, wie Satellitenfotos zeigen. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, seinen Tagraum ständig zu erweitern, sogar weit über die Gemütlichkeitsebene hinaus. Als beispielhaft hilfreiches Instrument etwa dient hierbei die deutsche Arbeitstättenverordnung, zumal sie auf qualitative Anforderungen verzichtet.

Es geht unserer Kulur, der Technik und dem Markt zunächst nicht um ein besseres, sondern schlicht und wie seit Goethe alle wissen, um mehr Licht. Das war nicht nur das Credo eines Sterbenden, sondern es ist ganz sicher schon ein bedeutend älteres Gesetz. Entsprechend opportunistisch/optimistisch gibt auch die neue frankfurter light+building für das Jahr 2000 die Parole aus: eine Messe für mehr Licht.

So sehen wir im Stadtbild nachts anstelle von Fassaden mehr nur Sequenzen gleißend ausgeleuchteter Bürofluchten, und wenn wir ganz genau hinsehen, ist im Kontrastbild eine sogenannte öffentlichen Hand zu erkennen, die die Beleuchtung ihrer Straßen mit großzügiger Geste der Werbung überläßt, während sie nebenher mit dem Zwielicht ihrer Bahnhöfe oder Hospitäler die hohe Kunst des Gruselns für uns zelebriert, ohne dabei ihre öffentliche Unterrepräsentiertheit als gesellschaftlich demütigend zu empfinden. In der Bewertung künstlichen Lichts beziehen Biologen und Psychologen gegenüber Lichttechnikern vollständig unterschiedliche Positionen, indem sich die einen der eher nicht meßbaren Qualität und die anderen den ledigliglich meßbaren Quantitäten verschreiben. Allerdings gibt es einen allgemeinen Konsens zu optimalem Wohlbefinden bei Glühlampenlicht, noch stärker ist die Fasznation von Feuer, Kerzen- oder Gaslicht. Desungeachtet wurden in hedonistischer Verzückung über Luxwerte von Leuchtstoffröhren in den sechziger Jahren neben Fabrikationsräumen sogar reihenweise Schulen quasi fensterlos gebaut, mit dem Erfolg gewaltiger Konzentrationsschwächen sowie Motivationsmangel und Leistungsabfall. Inzwischen wissen wir: Leuchtstoff ist sowohl dem Auge als auch dem Abfall nur begrenzt zumutbar. Wenn ansonsten bei Konzepten auf Leuchtstofflicht verzichtet wird, eignet es sich in seiner Fremdartigkeit allerdings hervorragend für die Notausgangsbeleuchtung.

publiziert:
1993 Design Horizonte, Frankfurt/M
1995 VfA Profil, Oldenburg
1997 design zentrum hessen, Wiesbaden
1999 aktualisiert für Licht+Architektur 2000
© Winfried Saty 1993